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Erster Weltkrieg (1914 – 1918)

Der Krieg in Propaganda und Realität

Während des Ersten Weltkrieges wurden täglich 17 Mio. Feldpostbriefe sowohl von den Soldaten als auch von ihren Angehörigen geschrieben. Eine Beschreibung der wahren Verhältnisse in den Briefwechsel wurde aber vermieden, weil zum einen eine strenge Militärzensur herrschte und zum anderen der Adressat des Briefes nicht beunruhigt werden sollte. Hinzu kam auch eine „sprachliche Ohnmacht“. Übrig blieben damit oft Floskeln.
Auch die zahlreich verbreiteten Fotografien zeigen keineswegs ein Abbild der Realität. Es überwiegen harmlos aussehende, gestellte Gruppen- oder Einzelaufnahmen vor einer "idyllischen" Kriegskulisse. Privatfotos, die die grausame Realität des Krieges zeigen, sind ausgesprochen selten und waren von der Zensur verboten.

Auch die in Millionenzahl aufgelegten und verschickten Bildpostkarten vermitteln ein idyllisches, scheinbar harmloses und verklärendes Bild des Krieges. Gezeigt wird der Krieg von gestern: schneidige Kavallerieattacken, Flaggenparaden, einsam auf einem Hügel stehende martialische dreinschauende Feldherren. Der Schützengraben wird lediglich als eine durch nichts gestörte Picknick- oder Liebesgabenidylle gezeigt; im Unterstand brennt der anheimelnde Ofen. Sie dienen als Verbildlichung des Spottgedichtes: "Jeder Schuss ein Russ', jeder Tritt ein Brit', jeder Stoß ein Franzos'".

In einer weiteren Gruppe von Karten wird der Gegner diffamiert, teilweise mit rassistischen Mitteln. Die alliierten Kolonialsoldaten werden als "Gefangenentypen" charakterisiert und in steckbriefartigen Portraits wie in einer Völkerschau vorgeführt. Der russische Gegner wird als verlaust und dreckig dargestellt (russische Wirtschaft).

Erst in der Literatur der Weimarer Republik sollte eine Aufarbeitung der Erlebnisse des Ersten Weltkrieges beginnen. Die Erfahrungen des einzelnen Frontsoldaten sollten aus der Anonymität eines Massenkrieges herausgehoben werden. Darin gleichen sich interessanterweise politisch so gegensätzliche Autoren wie Erich Maria Remarque und Paul Coelestin Ettighoffer. Jedoch insbesondere die Bücher Ettighoffers, der 1975 in Euskirchen starb, erzielten ebenso wie das Buch von Remarque "Im Westen nichts Neues" ungeheure Auflagenhöhen.

 

Brief des Mathematikstudenten Hans Foerster, geboren am 6. Oktober 1890, gefallen am 29. November 1916 bei St. Mihiel:

Vor Verdun, 1. Juli 1916
Am 20. abends 9 Uhr geht's in die Stellung vor. Rasendes Granatfeuer. In einen früheren Hohlweg hinein…. Ihr dürft Euch da nicht etwa was Grünes darunter vorstellen. Es gibt keine Farbe außer braun, grau und schwarz - es gibt keine Form außer GranatIöchern. Die Leute werden in Löcher verteilt, immer 2 oder 3, ein Loch vom anderen 30-50 Meter entfernt. Ich bin am linken Flügel mit einem Mann in einem Loch…. Das Loch ist 1,40 Meter tief, 1,60 Meter lang, 1 Meter breit. Die ganze Nacht gespannte Aufmerksamkeit nach vorn. Der Auf-sichtsbereich ist groß. Die Augen angestrengt - Handgranaten und Gewehr bereit; Revolver geladen. - Wir können ja am Tage schlafen! - Um 1/2 6 Uhr kochen wir uns etwas Kaffee auf einem Kocher. Legen uns dann schlafen. Um 8 Uhr morgens beginnt Trommelfeuer bis 4 Uhr nachmittags. Von Essen oder Aufrichten keine Spur, da die Splitter nur so fliegen. Um 5 Uhr mit großem Kaliber bis 7 Uhr. Neben uns wird alles aufgewühlt, und da kommt Verbor-genes, was nach menschlichem Recht Ruhe haben sollte, zutage. Der Gestank wird sehr arg. Wir dürfen keine Bewegung machen, da ein feindlicher Flieger kreist. Mit ZeItdecken verbergen wir uns, die Gewehre und alles Auffällige. Wir sehnen die Nacht herbei. - Die zweite Nacht…
Der Sturm. Vorbereitung. Um 4.15 Uhr begann mit kleinen Kalibern die Beschießung der feindlichen Linien. Gasgranaten. Große Wolken. Einige zu kurz gegangene zwingen uns zur Benützung der Gasmasken. Wir geben Signalzeichen…: „Feuer vorlegen". Um 4.45 Uhr ist der Dampf über den feindlichen Stellungen dicht. Das Feuer der kleinen Batterien uns gegenüber verstummt. Bis 5 Uhr kommen gewöhnliche Granaten. Der Rauch verteilt sich. Die Franzosen schießen wieder. Von 5 bis 5.30 Uhr Gas, 5.30 bis 6 Uhr gewöhnliche Granaten, 6 bis 6.30 Uhr Gas, 6.30 bis 7 Uhr gewöhnliche Granaten. Wir stehen oben und schauen trotz der Splitter zu. Das Kaliber unserer Artillerie wird größer. Die feindlichen Batterien beschießen unsere rückwärtigen Linien; Sperrfeuer! Wir erhalten fast keinen Schuß. 7.30 Uhr Gas mit den größten Kalibern. 7.30 bis 8 Uhr 38,5- bis 42-cm-Granaten. Ein furchtbares, gewaltiges Schauspiel. Erde bis zum Himmel. Die Schlucht eine riesige Dampfwolke, turmhoch flogen die Trümmer. Dorf Fl. auf der Höhe, 3 Kilometer entfernt, ist eine Rauchwolke. Gegenüber unserer Stellung scheint die Welt unterzugehen. Und wir? Wir stehen mit begeisterten Augen und schauen und schauen! - Dann essen wir unsere Vorräte auf bis auf den eisernen Bestand, denn Kraft tut uns not in den nächsten Stunden. Für manchen der letzte Bissen! 8 Uhr rechts und links Leuchtkugeln bestimmter Farbe. Raus aus den Gräben! Rasch geht es vorwärts über 1-2 Meter tiefe Löcher und Trichter. Kein Quadratmeter, der nicht verwühlt ist. Der Feind hat sich tapfer gehalten …. Rast in einem Granatloch. Näher heran. Die Granatlöcher werden tiefer; manche bis zu 15 Meter tief - steile Schächte …. Unsere 42er! Dort - da „Blaugraue". Sie bleiben und schießen. Auch wir. Heraus aus dem Loch! Vorwärts. Rechts ein Loch mit 4 Franzosen; den Kolben hoch - sie heben die Hände. „Retour!" rufen wir, und gehorsam springen sie, soweit sie nicht verwundet sind, heraus und laufen ohne Waffen hinter unsere Front, wo die Reserven sie auffangen …. Die Franzosen fluten zurück; auf Befehl eines Offiziers nehmen sie wieder Stellung. – „Handgranaten!" gellt bei uns der Ruf. Überall stürzen Verteidiger - andere ergeben sich …. Weiter geht es durch den Grund der Mulde. Vor uns ein Bahndamm, rechts eine Kurve des Dammes. An ihr 40-50 Franzosen, heben die Hände. Ein Gefreiter schießt noch auf sie - ich reiße ihn zurück. Ein alter Franzose hebt die nur wenig verletzte linke Hand und lächelt und dankt mir. Dem Bahndamm gilt es nun. Der Hang gegenüber speit Maschinengewehrfeuer. Wir legen uns hin und schießen. Unsere Artillerie setzt drüben mit Gas hinein. Gewaltige Detonationen. Auf Signal von uns „Feuer vorverlegen" geht es weiter den Berg hinan … Fast sind wir auf der Höhe - aber wir müssen warten, bis unser Feuer verlegt wird. Wir warten in einem Granatloch. 10 Meter links von mir steht in einem Loch Leutnant A., unser derzeitiger Kompagnieführer. Leutnant A. ruft herüber: „Schön ist es gegangen" und lacht; dann wird er ernst, da er sieht, daß einige Leute weiter vorgehen und Gefahr laufen, ins eigene Feuer zu kommen. Er steht auf und will rufen - da - spritzen Fetzen seiner Generalstabskarte, er krampft die Hände vor die Brust und fällt vornüber. Einige Leute springen hinzu - doch schon nach wenigen Minuten ist er tot. Weiter geht es. Kein Aufenthalt….
Sieht man den Bergrücken von Fl. aus westwärts, so erblickt man ein Tal, dessen Ausgang rechts sich wendend - Verdun, bzw. seine Vorstädte sehen läßt. Oh, Verdun, welche Begeis-terung! - Man drückt sich mit strahlendem Blicke die Hand… Um 12 Uhr mittags raffte sich der Feind zu einem Gegenstoß auf, wir überrannten ihn und besetzten einen Schützengra-ben 1 1/2 Kilometer vor Dorf Fl. Das Artilleriefeuer steigert sich. Wir können uns nicht mehr im offenen Graben halten und suchen die Unterstände….
Als wir abends (23.) aus unseren Löchern krochen, merkten wir, zu unserem Schrecken, daß die Stellung um 8 Uhr geräumt war und nur mehr wir 24er und die paar 10er die Stellung von 500 Metern hielten. Das war unmöglich. Leutnant E. gab Befehl, bei Einbruch der Dunkelheit zurückzugehen, da wir vergessen worden seien. Doch schon um 8.30 Uhr schoß unsere Artillerie in den Graben - so hieß es noch am hellichten Tage: zurück. Das Gelände bot - durch die vielen Granattrichter verändert, große Schwierigkeiten beim Zurechtfinden. Leutnant E. ging voraus und befahl auf 100 Meter zu folgen. So verloren wir ihn. Ich nahm die übrigbleibenden 12 Mann unter mein Kommando: ein Mann, am Oberschenkel verwundet, wurde mitgenommen. So ging es unter Granatenhagel zurück. Der Durst war riesig. Jede, auch durch Gas gelbgefärbte Pfütze mußte herhalten. Nach 2 Stunden hatten wir 500 Meter zurückgelegt. Von Loch zu Loch. - Es wurde Nacht. . . Gottseidank hatte ich den Leuchtkompaß, sonst wären wir bestimmt in Gefangenschaft geraten.
Bis morgens um 4 Uhr lagen wir dann in einem Loch und konnten nicht vorwärts, da die Mulde vor uns stark beschossen wurde. Durst riesig. Endlich regnete es, da leckten wir die Überzüge am Helm und die Rockärmel ab. Die Kehle war wie ausgetrocknet. - Um 1/2 5 Uhr kamen wir an unsere frühere 1. Stellung, wo uns Major M… nach Fort D. zurückschickte. Der Weg dorthin lag stets im Sperrfeuer. Ein Unteroffizier… bat mich, ihn dorthin zu bringen, er hatte Unterleibsschuß. Die Blase wollte springen; - also los. Er war einen Kopf größer als ich, und es war schwer für mich, ihn zu stützen. Wegen der schweren Verletzung und der aufgerissenen Wege konnten wir nur in kleinen Schritten vorwärtskommen und brauchten bis morgens 9 Uhr 4 Stunden. Es war ein schrecklicher Weg. Als es heller wurde, erkannte ich in ihm einen Kommilitonen… Er weinte und dankte mir bewegt in Fort D. für meine Hilfe. Von D. aus ging es weiter nach der B-Schlucht. Auf dem Wege dahin lag ich eine Weile ohne Besinnung - vor Entkräftung. Das Anschnuppern eines reiterlosen Pferdes brachte mich wieder zu mir. Endlich beim Regiment in der B-Schlucht, wo ich mich an Wasser und Kaffee erquickte, wusch und schlief. Die Strapazen hatten ein Ende.

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