Schrift: größer/kleiner
Inhaltsverzeichnis
Sie sind hier: WirRheinländer > Hurrapatriotismus > Kaiser Wilhelm II
Erst nach der Thronbesteigung Wilhelms II. (1859-1941) 1888 und dem Rücktritt Bismarcks 1890 entspannte sich das Verhältnis zwischen Rheinländern und Altpreußen. Obwohl er in seinem Auftreten die rheinische Karikatur des Preußentums verkörperte, erwarb sich der Kaiser am Rhein viel Sympathie. Er, der protestantische Berliner, bewunderte die Macht- und Prachtentfaltung der katholischen Kirche und den Patriotismus der Rheinländer.
Das ganze 19. Jahrhundert hindurch spielte der Rhein eine herausragende Rolle im deutschen Nationalbewusstsein. Nachdem bereits in den Freiheitskriegen gegen Napoleon patriotische Rheinlieder erschienen waren, verfasste im September 1840 der in Bonn geborene Jurist Nikolaus Becker (1809-1845) ein viel gelesenes Gedicht unter dem Titel "Der deutsche Rhein".
Damit reagierte er auf neuerliche Ansprüche Frankreichs auf das linke Rheinufer. Die erste Strophe seines Gedichtes lautete: "Sie sollen ihn nicht haben, / Den freien deutschen Rhein, / Ob sie wie gierge Raben / Sich heiser danach schrei'n." Beckers Verse inspirierten andere Autoren zur Nachahmung. So nahm Ernst Moritz Arndt (1769-1860), gerade auf seinen Bonner Lehrstuhl zurückgekehrt, die Grundsteinlegung für das Hermannsdenkmal bei Detmold 1841 zum Anlass, seinem Lied "Was ist des Deutschen Vaterland?" von 1813 eigens zwei Strophen hinzuzufügen. Fortan endete es mit den Worten: "Das ganze Deutschland soll es sein! / So klingt's vom Belt bis übern Rhein. / Der Römer sank, der Römling [Franzose bzw. Katholik] sinkt, / Wo Stahl in deutschen Fäusten blinkt. / So soll es sein! / So war, so soll mein Deutschland sein!"
Doch nicht alle Vertreter der deutschen Rheinlyrik teilten dieses Pathos. Der Literaturhistoriker Robert Eduard Prutz (1816-1872) etwa sah die von Becker beschworene Freiheit des Rheins im Vormärz unterdrückt. In seinem Gedicht "Der Rhein" ermahnte er die "Fürsten und Vasallen":
"Mit euch zuerst müsst ihr den Kampf beginnen! / Soll unverführt von heiserem Geschrei / Und ungetrübt des Rheines Welle rinnen, / So seid zuerst ihr selber deutsch und frei!" Ganz ähnlich beklagte Georg Herwegh (1817-1875), ein Anführer des badischen Aufstands von 1849, in "Der Protest" (1841), dass an den Ufern des Rheins "keine freien Männer" lebten.
Max Schneckenburger (1819-1849), wie Arndt, Prutz und Herwegh kein Rheinländer, verfasste mit seinem Gedicht "Die Wacht am Rhein" ("Es braust ein Ruf wie Donnerhall, / wie Schwertgeklirr und Wogenprall. ...") vom November 1840 ein Stück deutscher Rheinlyrik, das erst zur Zeit des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71 in der Vertonung Karl Wilhelms (1815-1873) von 1854 große nationale Begeisterung entfachte. Dieses Lied wurde derart populär, dass es auch die politische Linke für sich entdeckte. In der Zeit des "Sozialistengesetzes" (1878-1890) erschienen mehrere Parodien auf "Die Wacht am Rhein", die zwar verboten waren, deren Verbreitung aber wegen der dazu gesungenen erlaubten Melodie von den Behörden schwierig zu verfolgen war. Das "Proletarier-Liederbuch" des radikalen Sozialdemokraten Johann Most (1846-1906) aus den späten 1860er Jahren enthielt gleich zwei Verfremdungen von "Die Wacht am Rhein".
Wahrend die eine Version ("Es tönet nicht wie Donnerhall, / Wie Schwertgeklirr und Wogenprall ...") unter Beibehaltung von Wilhelms Komposition den ursprünglichen Text nach den ersten beiden Zeilen deutlich veränderte, ließ die andere Fassung ("Die Wacht am Rhein, das ist der Titel/Des Liedes, das im Schwange geht ...") wesentliche Elemente des Gedichtes bestehen, nahm jedoch ein Trinklied als musikalische Untermalung. Als Kampflied mit neuem Text ("Es braust ein Ruf so schnell wie Pest / Der Warken [Vertrauensmann der Streikenden] sitzet im Arrest ...") wurde die Melodie auch während des Ruhrbergarbeiterstreiks im Jahr 1889 gesungen.