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Sie sind hier: WirRheinländer > Das Rheinland unter den Franzosen (1794 – 1813)
Das "Rheinland" entstand erst in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts als ein geschlossenes politisches Gebilde. Vor 1794 bestand das Gebiet beiderseits des Rheins zwischen Mosel und der niederländischen Grenze aus einem "Flickenteppich", zusammengesetzt aus vielen verschiedenen Territorien und Fürstentümern. Sowohl geistliche Herrscher wie die Erzbischöfe von Trier und Köln als auch weltliche Landesherren wie die Herzöge von Jülich, Kleve und Berg regierten in den Gebieten der späteren preußischen Rheinprovinz. Entsprechend bezeichneten sich die Einwohner nicht als "Rheinländer" sondern als "Jülicher", "Klever" oder "Kölner" und bildeten keine übergreifende territoriale Identität. Sie lebten zwar in einem Reich, im "Heiligen Römischen Reich deutscher Nation", das sich erst 1806 mit der Abdankung Kaiser Franz II. auflöste, aber die territorialen und regionalen Gesetze und Gegebenheiten prägten und bestimmten das Leben.
Die Französische Revolution von 1789 war das Ereignis, das die politische Landschaft in dieser Epoche, auch über Frankreichs Grenzen hinaus, nachhaltig beeinflusste. Zwar ist es in Deutschland nicht zu einer revolutionären Umwälzung gekommen, doch durch die Kriege mit dem revolutionären Frankreich und seinem Feldherrn Napoleon Bonaparte, der sich zeitweise Herr über halb Europa nennen konnte, wurden auch die deutschen Großmächte Preußen und Österreich erschüttert.
Sie waren in den plötzlich veralteten aufgeklärt-absolutistischen Strukturen gefangen und hatten wie auch die ständisch-feudal organisierten anderen deutschen Länder dem liberalen Frankreich mit seinen überaus motivierten Soldaten nichts entgegenzusetzen. So errang Napoleon Sieg um Sieg und konnte seinen Gegnern schließlich den Frieden diktieren. Für die deutschen Länder bedeutete dies nicht nur die Abtrennung von Gebieten, sondern auch eine territoriale Veränderung. Der "Flickenteppich" der deutschen Länder wurde beseitigt und die Staaten zum Rheinbund zusammengeschlossen, der nun neben Preußen und Österreich eine dritte deutsche Macht bildete.
Frankreich dominierte in dieser Zeit die Entwicklung in ganz Europa. Dies galt im besonderen Maße für das Rheinland und – in geringerem Maße – auch für Westfalen. Ab 1793 bis Oktober 1794 eroberte das revolutionäre Frankreich die linksrheinischen Gebiete, die Napoleon 1801 annektierte. Systematisch wurden sie an die rechtlichen, administrativen und politischen Gegebenheiten Frankreichs angeglichen. 1804 wurde der "Code Civil" (später auch "Code Napoléon" genannt) eingeführt, der den Bereich des Bürgerlichen Rechts regelte und bis zur Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches im Jahre 1900 im Rheinland fortwirkte. Der "Code de procédure civile" (Zivilprozessrecht) wurde 1807 erlassen. 1808 und 1809 folgten der „Code de commerce" (Handelsrecht) und der „Code d'instruction criminelle" (Strafprozessrecht). Abgeschlossen wurde die Einheit der Rechtsordnung und der Gerichtsverfassung für das Rheinland 1810 mit dem „Code pénal" (Strafrecht).
Unter dem Einfluss Napoleons änderte sich nicht nur die bisherige territoriale und politische Ordnung, auch gesellschaftliche Reformen gingen mit der französischen Besatzung einher. Die rechtsrheinischen Gebiete waren weniger lange und intensiv unter dem französischen Einfluss: 1806 gründete Napoleon das Großherzogtum Berg mit der Hauptstadt Düsseldorf, das Königreich Westfalen schuf er eigens für seinen jüngeren Bruder, Jerome Bonaparte, der diesen Staat als Modellstaat von 1807-1813 regierte. Die rechtsrheinischen Gebiete gehörten also nie zum französischen Staat, sondern bewahrten sich als Satelliten eine größere Eigenständigkeit. So waren den Preußen dann auch nach der Einverleibung des Rheinlands und Westfalens 1815 die Rheinländer aufgrund ihrer frankophilen Ader verdächtiger als die Westfalen.
Die Zeit des französischen Einflusses war 1815 vorbei, hatte aber tief greifende Veränderungen hinterlassen, die besonders auf dem Gebiet des Wirtschaftsrechts und der Verwaltung als Veränderung zum Besseren begriffen worden waren. Die Bevölkerung wehrte sich deshalb auch dagegen, diese Errungenschaften der preußischen Staatsangehörigkeit zu opfern. So blieb der Code Civil, auch Code Napoleon, als erste bürgerliche Gesetzessammlung links des Rheins bis zur Ablösung durch das Bürgerliche Gesetzbuch im Jahr 1900 in Kraft. Auch Preußen selbst war gezwungen, sich das überlegene französische Staatswesen zum Vorbild zu nehmen und Reformen durchzuführen. Diese Neuerungen bereiteten den Verfassungsstaat des 19. Jahrhunderts vor.