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Inhaltsverzeichnis

Das Rheinland unter den Franzosen (1794 – 1813)

Daten

1801
Frieden von Lunéville: Das Heilige Römische Reich tritt seine Gebiete links des Rheins an Frankreich ab. Bereits im Herbst 1794 sind Revolutionstruppen in die freie Reichsstadt Köln und die kurkölnische Residenz Bonn eingezogen, bald darauf auch in Koblenz und Kleve - für die linksrheinischen Lande der Beginn einer zwanzigjährigen französischen Fremdherrschaft. (9.2.)

1803
Reichsdeputationshauptschluss: Durch Neugliederung, Sälularisation und Mediatisierung wird die Kleinstaaterei in Deutschland weitgehend beseitigt. Die meisten der bislang allein dem Kaiser verantwortlichen Gebiete werden nun landesherrlicher Gewalt unterworfen. Nahezu alle geistlichen Territorien und kirchlichen Ländereien gehen in weltlichen Besitz über, mit dem jene Reichsstände entschädigt werden, die ihre Gebiete auf dem linken Rheinufer an Frankreich haben abtreten müssen. (25.2.)

Die Mediatisierung der geistlichen Kurfürstentümer Köln und Trier und die Säkularisation der Klöster schwächen die katholische Kirche im Rheinland ganz erheblich. Dennoch bergen die strikt antiklerikalen Maßnahmen Napoleons auch die Chance der Erneuerung durch Rückbesinnung auf die konfessionelle Identität im Wettbewerb mit anderen Glaubens- und Wertesystemen. Der politische Machtverlust und der Entzug ihrer zivilrechtlichen Befugnisse befreien die Kirche aus dem Konflikt zwischen ihren Ansprüchen als „alleinseligmachende" Heilsinstitution und weltliche Herrschaft. Der Fortfall sämtlicher Privilegien in den ehemals katholischen Territorien, die Bekenntnisfreiheit aller christlichen Konfessionen und die Kritik der Aufklärung am Christentum zwingen zur eigenen Positionsbestimmung. Dafür ist die katholische Kirche im Rheinland besser als anderswo in Deutschland gerüstet. Bereits seit den 1760er Jahren haben die von den Ideen der Aufklärung geprägten Erzbischöfe von Köln und Trier auf mehr rechtliche Eigenständigkeit des Episkopats gegenüber der römischen Kurie gedrungen, während sie in der Volkserziehung und Hochschulausbildung dem Geist der Aufklärung, Wissenschaft und Toleranz mehr Freiraum gewährt haben. Gegenüber dem demonstrativen Bekenntnis des Wallfahrts- und Prozessionswesens haben sie eine verinnerlichte Frömmigkeit gefördert. Diese Aufgeschlossenheit für neue Entwicklungen macht die katholische Kirche im Rheinland weniger angreifbar für ihre Gegner in Politik und Kulturleben und wahrt zugleich ihren traditionell großen Einfluss auf die Masse der katholischen Laien.

1804
Code Napoléon: Frankreichs neues Gesetzbuch reformiert das deutsche Rechtswesen links des Rheins, im Herzogtum Berg und in anderen Teilen des späteren Rheinbundes. Es beseitigt die Stände und stärkt Freiheit und Eigentum der Bürger. (21.3.)

Auszüge aus dem Code Napoléon gemäß der einzigen offiziellen Ausgabe für Berg, seit 1806 Großherzogtum, wo das französische Recht mit Beginn des Jahres 1810 in Kraft tritt:

„1. Die Freiheit

Der Staatsbürger hat mit seiner Großjährigkeit die Freiheit, über seine Person zu verfügen.

Er kann daher seinen Wohnsitz wählen, wo es ihm gutdünkt. [. . .] Wir bezeichnen es als Naturrecht, daß wir den Menschen als moralisches Wesen behandeln, d. h. als ein vernunftbegabtes und freies Wesen, das dazu bestimmt ist, mit anderen vernunftbegabten und freien Wesen zusammenzuleben.

2. Die Rechtsgleichheit

Nachdem unsere Verfassung die Rechtsgleichheit eingeführt hat, muß jeder, der ihr wieder abschwört und die abgeschafften Vorrechte der Geburt wieder einführen will, als Frevler gegen unseren Gesellschaftsvertrag gelten und kann nicht Franzose bleiben.

3. Die Gewalt des Familienvaters als Vorbild

Der Ehemann schuldet seiner Frau jeglichen Schutz, die Ehefrau schuldet dem Manne Gehorsam. Die Frau kann vor Gericht erscheinen nur mit Ermächtigung ihres Mannes, auch wenn sie selbst einen Beruf ausübt. In Dingen, die ihr Geschäft betreffen, ist sie selbständig.

Das Kind ist in jedem Alter verpflichtet, Vater und Mutter Ehre und Achtung zu erweisen. Das Kind verbleibt in der elterlichen Gewalt bis zur Großjährigkeit oder bis zur Heirat.

4. Von dem Eigentum

Eigentum ist das Recht, eine Sache auf die unbeschränkteste Weise zu benutzen und darüber zu verfügen, vorausgesetzt, daß man davon keinen durch die Gesetze oder Verordnungen untersagten Gebrauch mache. Niemand kann gezwungen werden, sein Eigentum abzutreten, wenn es nicht des öffentlichen Wohls wegen und gegen angemessene und vorgängige Entschädigung geschieht."

1806
Rheinbund-Akte: Nach seiner Lossagung vom Heiligen Römischen Reich tritt Berg, jetzt Großherzogtum, mit fünfzehn anderen Reichsständen einem Staatenbund unter dem Schutz Kaiser Napoleons I. bei. (16.7.)

Ende des Heiligen Römischen Reichs: Die Abdankung Kaiser Franz' II. besiegelt die Auflösung des im Jahre 962 begründeten römisch-deutschen Imperiums. (6.8.)

Der Koblenzer Publizist und Historiker Joseph Görres (1776-1848) artikuliert die zwiespältigen Gefühle, die viele seiner rheinischen Landsleute sowohl Frankreich als auch dem alten deutschen Reich gegenüber hegen. Er, noch in den 1790er Jahren Jakobiner, wandelt sich unter dem Eindruck der Expansionspolitik Napoleons zum Anwalt einer romantisch getönten Neuentdeckung der nationalen Identität, der deutschen Geschichte und Kultur, die in der rheinischen Landschaft mit ihren Sagen, Burgen und Ruinen eine imponierende Kulisse findet.

Im Jahre 1800 vertritt Görres die Ansicht, die Andersartigkeit von Sprache und Nationalgeist, Sitten und Gesetzen stünden einer dauerhaften Verbindung der linksrheinischen Gebiete mit Frankreich völlig entgegen. Noch drei Jahre zuvor freilich hat er, nach der im Friedensvertrag von Campo Formio festgelegten Abtretung aller Territorien links des Rheins, dem untergehenden Reich einen satirischen Nachruf gewidmet: „Um 3 Uhr starb zu Regensburg im blühenden Alter von 955 Jahren, 5 Monaten, 21 Tagen sanft und selig an einer gänzlichen Entkräftung und hinzugekommenem Schlagfluss das HI. Römische Reich schwerfälligen Angedenkens. Der Verstorbene setzt die Fränkische Republik als einzige rechtmäßige Erbin des linken Rheinufers ein. Testamentsexekutor wird seine Exzellenz der General Bonaparte." Görres' Datierung der Reichsgründung ist historisch allerdings nicht recht nachvollziehbar.

Kontinentalsperre: Napoleon boykottiert den Handel mit Großbritannien. (21.11.)

Die wirtschaftlichen Folgen der napoleonischen Kriege bekommen einzelne Regionen des Rheinlands sehr unterschiedlich zu spüren. Als Teil des französischen Wirtschaftsimperiums genießen die linksrheinischen Gebiete die Vorteile der Gewerbefreiheit und Schutzzollpolitik.

Zahlreiche Industrien, wie die Textilbetriebe um Aachen und Krefeld oder die Kohlezechen und Eisengießereien an der Saar, nehmen einen regen, wenn auch überhitzten Aufschwung.

Napoleons Truppen benötigen große Mengen Tuche für Uniformen, strapazierfähiges Leinen hingegen weniger. Damit finden die Wollproduzenten in Frankreich im Gegensatz zu den deutschen Leinenherstellern genügend Ersatz für den fehlenden Export. Mancher bergische Textilunternehmer verlegt daher Teile seiner Produktion auf das linke Rheinufer. Auch im (Groß-)Herzogtum Berg geht Ende des achtzehnten Jahrhunderts die Entwicklung von Handwerk und Industrie rasch voran. Schon Anfang 1807 erreicht man dort die Befreiung von den Handelsbeschränkungen der Kontinentalsperre. Indes leiden die Betriebe hier unter der Bevorzugung der französischen Konkurrenz durch Napoleon. Die einträglichen Märkte Frankreichs und vor allem Italiens sind der bergischen Industrie versperrt. Von anderen Staaten, vom Seehandel und schließlich auch von Holland bleibt Berg gleichfalls abgeschottet.

1807
Tilsiter Edikt zur Bauernbefreiung: Zum 11. November 1810 hebt Preußen die Erbuntertänigkeit auf und garantiert persönliche Freiheit, Besitz, Beruf und Rechtsgleichheit;

1815 auch in der Rheinprovinz. Fortan dürfen Adlige bürgerliche Berufe ergreifen und Bürger Rittergüter erwerben. Rechtlich sind damit in Preußen die Voraussetzungen zum Fall der Standesschranken gegeben. (9.10.)

1808
Städteordnung: Die preußischen Städte werden selbständige Gemeinwesen mit der Alleinzuständigkeit in Schul-, Finanz- und Sozialangelegenheiten. Polizei und Justiz sowie die Oberaufsicht behält der Staat.

Die Stimmberechtigten bestellen in gleicher und geheimer Zensuswahl die Mitglieder der Stadtverordnetenversammlung, die den Magistrat wählt. Zünfte und Korporationen verlieren ihre Wahlprivilegien. (19.11.)

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